Memorials / Reden

Hans-Werner Wahl

Deutsches Zentrum für Alternsforschung
Heidelberg



Sehr geehrter, lieber Herr Baltes, sehr geehrte Anushka, sehr geehrter Boris, sehr geehrte weitere Familienangehörige, sehr geehrte Trauergemeinde,

lassen Sie mich zunächst sagen, daß es mir sehr schwer fällt, heute hier vor Ihnen zu stehen und zu diesem so traurigen Anlaß Worte finden zu müssen. Aber lassen Sie mich auch sagen, wie sehr ich es als Ehre empfinde, auf diesem Wege noch einmal die Nähe zu Frau Baltes suchen zu dürfen ? auch wenn Sie nun weit von uns entfernt ist.

Und es ist für mich nicht einfach, ja, eigentlich unmöglich, die im allerbesten Sinne "großen Worte" für eine so bescheidene Person und Wissenschaftlerin zu finden. Und ich will dies deshalb auch gar nicht erst versuchen.

Vielleicht liegt es ja einfach daran, daß Frau Baltes zwar eine hohe Toleranz für die großen Worte hatte, die andere bisweilen in den Mund nahmen. Sie selbst aber blieb -- wieder im besten Sinne -- einfach und nüchtern: Sie beschrieb die Ergebnisse ihrer eigenen exzellenten wissenschaftlichen Leistungen in klaren und stets unpathetischen Sätzen, und sie brachte die in ihren Befunden enthaltenen maßgeblichen Implikationen für gutes und hoffnungsvolles Altern, für die Pflege, für die Diagnostik, für gute soziale und räumlich-dingliche Umwelten im Alter glasklar zum Ausdruck ? aber sie ging dann auch zügig zu den nächsten Aufgaben über.

Denn Frau Baltes sah selbst ja am allerdeutlichsten, daß stets mehr Fragen offen bleiben, als beantwortet werden -- im Rahmen der wissenschaftlichen Erörterung und im Hinblick auf die Bedeutung der Befunde für Fragen der ganz persönlichen Lebensgestaltung. Hier sei die triviale und dennoch, wie ich finde, wichtige Feststellung erlaubt, daß auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, auch dem Lauf des Lebens so nahestehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie Entwicklungspsychologen und Gerontologen, in diesen Aufgaben und Fragen der täglichen und gleichzeitig das gesamte individuelle und kollektive menschliche Werden umgreifenden Existenz gefordert sind -- und für sich und andere überzeugende Antworten finden müssen -- alleine und gemeinsam mit anderen, und dann vielleicht auch wieder alleine.

Ja, ihre Bescheidenheit, Offenheit und eine sofort überspringende Sympathie und Wertschätzung für andere, das waren und bleiben meine wesentlichen Erfahrungen mit Frau Baltes, die ich seit 1984 kenne. Zuerst kam diese Menschlichkeit, dann die ausgezeichnete Wissenschaftlerin und die mehr als engagierte Mentorin, die in einer selbstverständlichen und gewissermaßen natürlichen Art und Weise zur Leistung aufforderte und auch deutliche, aber auch sehr überzeugende Worte der notwendigen fachlichen Kritik fand.

Dann saß man eben da und hatte den Salat; aber vor allem hatte man den Gewinn einer Person eingestrichen, die sich äußerst ernsthaft mit den eigenen Produkten auseinandergesetzt hatte. Ein stets überaus großer Gewinn. Und damit war für Frau Baltes die Sache erledigt, sie war längst wieder bei anderen Aufgaben, und ein Lächeln oder häufig gar nicht wenig ganz normale Alltagsworte ließen -- zumindest bei mir, aber ich bin sicher, auch bei vielen anderen -- irgendwelche unguten Gefühle gar nicht erst entstehen. Denn es war eben nicht nur eine hohe professionelle Haltung im Spiel, sondern vor allem menschliche Nähe und Anteilnahme an den Widrigkeiten des akademischen Werdens ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ihrer Schülerinnen und Schüler, an ihrem Auf und Ab von Erfolg und den bisweilen auch unvermeidlichen Rückschlägen, dem ewigen Ausbalancieren von hohem Arbeitsinvestment und den mehr, aber manchmal auch weniger sichtbaren Erträgnissen.

Frau Baltes machte mir von Anfang an viel Mut zu diesen Herausforderungen, aber eben auch viele Angebote. Ein Beispiel ist eines ihrer zentralen Forschungsthemen "Soziale Umwelten alter Menschen und ihre Bedeutung", das ich mitbearbeiten konnte und das wir in 14 Publikationen in die Scientific Community einbringen durften. Aber soziale Umwelten zählen eben auch in der akademischen Welt. Ein Unselbständigkeits-Unterstützungs-Skript, das wir als so robustes Muster im sozialen Umgang mit älteren Menschen in Institutionen und in Privathaushalten gefunden hatten, gab es bei Frau Baltes im Umgang mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Schülerinnen und Schülern nicht. Statt dessen: ein klar umgesetztes Selbständigkeits-Unterstützungs-Skript! Du kannst etwas und nun setze es um -- meine Hilfe ist Dir dabei sicher, aber es gibt auch keine Überprotektion. Eine ideale Voraussetzung, um auf die eigenen akademischen Beine zu kommen und den weiteren Weg vor allem auch mit eigenen Kräften gehen zu können.

Mir selbst hat Frau Baltes auf meinem Weg sehr viel gegeben. Es sind dies eben die prägenden akademischen, aber auch sehr persönlichen Erfahrungen, die man in das eigene Dauergepäck des Lebens, an guter Stelle und stets griffbereit, verstaut hat. In vielen schwierigen Situationen und Herausforderungen stellt sich bei mir gleichsam automatisch die Reflexion ein: Wie wäre Frau Baltes damit umgegangen? Wie ist sie in früheren Jahren mit meinen auch nicht immer einfachen Seiten umgegangen? Was heißt dies für meine gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben? Und diese Reflexionen zielen bei mir nicht nur auf den Bereich der professionellen Welt im engeren Sinne, sondern sie stellen sich auch in so manchen ganz privaten Situationen ein.

Aber ich bin ebenso sicher: Frau Baltes hat nicht nur mir, sondern vielen anderen Kolleginnen und Kollegen auf ihrem professionellen und akademischen Wege, wo immer sie in diesem Augenblick gerade stehen, überaus viel gegeben: Glauben an das eigene Können, Kritikfähigkeit und die Bereitschaft, offen für Kritik zu sein, Zuversicht, vor allem aber das Gefühl, das der Arbeits- und damit ja auch der Lebenseinsatz für die gestellten Aufgaben am Ende lohnend sein wird.

Dafür will ich heute, bei diesem so traurigen Anlaß, im Namen der vielen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Doktoranden und Diplomanden, die die Möglichkeit und Freude hatten, mit ihr arbeiten zu dürfen, Frau Baltes noch einmal Danke sagen, wo immer sie jetzt sein mag.

Lassen Sie mich Ihnen schließlich, verehrter Herr Baltes, verehrte Familienangehörige, auch im Namen der Forschungsinstitution, der ich heute angehöre, dem Deutschen Zentrum für Alternsforschung an der Universität Heidelberg, im Namen meiner jetzigen Kolleginnen und Kollegen, unser tiefempfundenes Beileid zum Ausdruck zu bringen. 


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